Alexander Györfi

Kostüm Total 2009

Kostüm Total - mit Peter Holl, Kunstverein Frankfurt - Experimente Folklore
Installation/Performance 2008/09

Kostüm Total - Kunstmuseum Stuttgart - Live

Kostüm Total - „Im Gegenlicht sehen wir die Menschen nicht“  Album 5 Tracks; 2008

Message

Im Gegenlicht sehen wir die Menschen nicht


Kostüm Total nennt sich ein Gemeinschaftsprojekt der Stuttgarter Künstler Alexander Györfi & Peter Holl. Der Name dieses spartenübergreifenden Experiments zwischen Kunst und Musik gibt bereits die programmatische Stoßrichtung vor: Mit Kostüm und Maskerade in Musikperformance, Rauminstallation oder Film beschwört das Duo künstliche Traumwelten, die ihre Anregungen in geometrischen Abstraktionen aus der Zeit der Klassischen Moderne, sowie elektronischer Pop-Musik aus den letzten Dekaden des 20. Jhs. suchen. Während die ersten Auftritte als reine Musikperformance noch im privaten Umfeld stattfanden, führten der weit gesteckte kunsthistorische Referenzrahmen und der Charme einer hemmungslosen bricolage schon bald zu einem verstärkten Interesse von Off Spaces und Kunstinstitutionen.

In der Ausstellung „Experimenta Folklore“ im Frankfurter Kunstverein (2008/2009) trat schließlich eine räumliche Inszenierung hinzu, in welcher der ephemere Charakter der Performances erstmals in eine begehbare, bühnenraumähnliche Situation überführt wurde, die dem freien Spiel der Rückbezüge im musealen Kontext greifbarere Gestalt und Nachhaltigkeit verlieh. Neokonstruktivistische Requisiten in reduziertem Schwarz-Weiß aus Styropor und Pappmaché, trichterartige Lautsprecher und ein durchbrochener Paravent waren im schwarz gestrichenen Ausstellungskubus auf dem Boden wie auf den Wandflächen arrangiert und bildeten mit einer Trickfilmanimation mit Formen aus der elementaren Geometrie und dem zugehörigen Musikvideo „Im Gegenlicht sehen wir die Menschen nicht“ eine Synästhetik von (bewegtem) Bild und Raum. Als Möglichkeit einer allumfassenden Erfahrung des Betrachters klingt dies bereits im Namen des Projektes an und verweist auf die Idee einer vollkommenen Durchdringung von Kunst und Leben, wie im Zeitalter der Moderne von den Futuristen oder dem Bauhaus immer wieder gefordert.

Bei Kostüm total erfährt dieses Konzept allerdings die zeitgemäße Bedeutungsverschiebung einer vor allem aus dem „Leben mit Pop“ geborenen, rigorosen Maskerade, der sich die Künstler-Akteure als Kunstfiguren getarnt bedienen und sich somit mit Lust auf das Abenteuer eines gemeinschaftlichen Arbeitens jenseits der jeweils individuellen bildkünstlerischen Kontexte und der Erwartungshaltungen des Publikums einlassen können.
Allein über die formalen Aspekte der Kostümgestaltung, der Raumkonzeption verzerrter Proportionen im Verhältnis von Figur und Requisite oder der mechanisierten, gliederpuppenartigen Bewegungsabläufe ergeben sich deutliche Bezüge zu den Bühnenexperimenten am Bauhaus, vor allem zu den durch Oskar Schlemmer entworfenen Figurinen des „Triadischen Balletts“, das 1922 in Stuttgart uraufgeführt wurde. Als „tänzerischer Konstruktivismus“ definierten sich die Körperkonstellationen nicht mehr allein durch die Ausdruckskraft der Tänzer, sondern wurden durch Form und Erscheinung der weitgehend starren Figurinen bestimmt, in die sich der Ausführende gleich einer Verpuppung einfühlen musste und die den gewohnt expressiven Gestus traditioneller Formen des Tanzes stark einschränkten.


Schlemmer schuf -wie er selbst schrieb- „die erste konsequente Demonstration des raumplastischen Kostüms“, so dass „der Körper, je mehr er mit dem Kostüm verwächst, zu neuen tänzerischen Ausdrucksformen gelangt.“ In seinen theoretischen Überlegungen zur Wechselwirkung von „Mensch und Kunstfigur“ forderte er 1925 in Anlehnung an Heinrich von Kleists „Marionettentheater“ oder E.T.A. Hoffmanns „Olympia“ aus dem Nachtstück „Der Sandmann“ einen Automaten als Kunstfigur für die Bühne, der „jegliche Bewegung, jegliche Lage in beliebiger Zeitdauer (erlaubt)“. Die Beziehung „des natürlichen ‚nackten’ Menschen (der auch bei Kostüm total unter der Maskerade immer wieder hervorscheint) zur abstrakten Figur“ erfährt „aus dieser Gegenüberstellung eine Steigerung der Besonderheit (seines) Wesens.“

Dieser Retro-Flirt mit der Avantgarde kennt aber noch weitere Inspirationen: Die megaphonartigen Lautsprecher verweisen auf die futuristischen, „intonarumori“ genannten, Geräuschemacher eines Luigi Russolo und lassen das Totaltheater „Sieg über die Sonne“ von Michail Matjuschin und Kasimir Malewitsch gleich implizit im Takt der programmierten Rhythmen mitschwingen, ohne dass sich jedoch bei der durchaus auch humoristisch zu verstehenden Anverwandlung von Versatzstücken der Moderne ein beherrschendes Moment herausfiltern ließe. Dies gilt in ähnlicher Weise für die wunderbar imperfekten, in Stop-Motion-Technik erstellten Trickfilmsequenzen bewegter geometrischer Formen: Diese können und wollen ihre Rückbezüglichkeit zu filmischen Experimenten eines Hans Richter, Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger nicht verleugnen und werden risikofreudig dem konzeptuellen Spagat zwischen nostalgischer Stummfilm-Ästhetik und digitalem Video ausgeliefert.

Im inszenierten Klanglabor wird spielerisch der Schöpfungsmythos der Kunst aus dem Geist der Maschine vorgeführt, bei dem mit naiver Neugier und scheinbar unberührt vom Weltwissen die Geschichte der elektronischen Musik vom akustischen Experiment bis zur sequencierten Unterhaltung im Zeitraffer neu erzählt wird. Die surreal anmutende Dingwelt der „Räder im Weltall“ (Kostüm total) erwacht zum Leben und lässt sich nur durch roboterhaft agierende Mischwesen beherrschen.

Der Elektropop von Kostüm total bringt schließlich den strengen Konstruktivismus mit seiner Beschreibung der Welt als Quadrat, Dreieck, Kegel oder Zylinder und den heiligen Ernst der damaligen Avantgardisten durch heitere Schüttelreime in klassischen Songstrukturen zum Tanzen. So überrascht der Soundtrack des Videos „Im Gegenlicht sehen wir die Menschen nicht“ den Hörer konsequent mit stilistischen Finten in ironischer Brechung – aus Sinustönen und Geräuschen erwächst langsam ein Pop-Track mit Ohrwurmcharakter, der allerdings von den kostümierten Protagonisten distanziert und kühl vorgetragen wird, die im Refrain nicht müde werden, dem Betrachter treuherzig zu versichern: „Wir sind so heiß wie ein Vulkan!“

Peter Daners

FAZ


11. Dezember 2008 Wenn das das Christkind wüsste. Dass der Frankfurter Weihnachtsmarkt jetzt, wechselt man für einen Augenblick die Perspektive, nicht mehr nur für süßen Glühwein steht, für Posaunenchor, Zuckerwatte, Kommerz und Scherzartikel, sondern gleichsam als Readymade im öffentlichen Raum fungiert. Als unfreiwilliger Rahmen der Ausstellung, die von heute an im Kunstverein am Römerberg zu sehen ist und unter dem Titel „Experimenta Folklore“ die Rolle von Musik, Brauchtum, Kunsthandwerk und Ritualen in der zeitgenössischen Kunst thematisiert.

Zum Glück fehlt der Ausstellung jede Spur von Kitsch, Bratwurstduft und Trachtenseligkeit. Doch nach einem ersten Rundgang ist man fast geneigt, Kurator Tobi Maier beizupflichten: „Der Frankfurter Weihnachtsmarkt ist das größte Performanceprojekt, das wir für die Schau gewinnen konnten.“ In der Tat begegnen dem Betrachter alleweil Alltagskunst, Karneval, Liedgut und Nippes, wie ihn Jeremy Deller und Alan Kane für ihr „Folk Archive“ zusammengetragen haben, oder allerlei Versprechungen aus der Welt der Mythen und Märchen, wie sie Claus Richter mit seinen Gold-, Silber- und Platinhöhlen eingerichtet hat. Es geht also bunt zu im Steinernen Haus, laut, turbulent und überaus lebendig.


Muntere Folkloreshow

Dass man als Besucher nie die Übersicht verliert, ist zunächst zwei konzeptionellen Achsen zu verdanken, die der Ausstellung Struktur geben. Während es einerseits fast ein Gemeinplatz ist, dass Pop und Musik in der jungen Kunst seit ein paar Jahren wieder eine große Rolle spielen, verweist andererseits der Titel der Ausstellung auf die „Experimenta“, das Mitte der sechziger Jahre von Karlheinz Braun und Peter Iden initiierte Theaterfestival, das vor bald vierzig Jahren mit Bazon Brock und Joseph Beuys, Lawrence Weiner und Blinky Palermo, Mauricio Kagel und Ernst Jandl Künstler unterschiedlicher Medien und Disziplinen zusammenführte.


An dieses Konzept knüpft die muntere Folkloreshow bewusst an. Hier aber ist die Kunst die Plattform, auf der sich Malerei, Performance, Musik, Film und Installation am Ende treffen. Wenn es freilich jenseits der Vielfalt der 25 Positionen einen formalen Nenner gibt, auf den sich diese „Experimenta“ bringen ließe, dann ist es das Mittel der Kontextverschiebung. Das gilt für die Bilder unbekannter Hobbykünstler, die Jim Shaw ausgegraben hat, ebenso wie für die Videoinstallation Shimabukus, der ein älteres Kunstprojekt von zwei brasilianischen Straßensängern aufbereiten und an einer Kreuzung in São Paulo dem Publikum musikalisch erzählen lässt.

Echter und falscher Zauber

Die Berliner Honey-Suckle Company veranstaltet derweil eine Art Konzert mit diversen selbstgebauten Musikmaschinen, Helmut und Johanna Kandl lassen eine Trachtengruppe in den österreichischen Bergen „Comandante Che Guevara“ singen, als wären wir im „Musikantenstadl“, und Kostüm Total haben ein Bühnenbild für ihre Performance in den Raum gebaut wie für ein Triadisches Ballett des 21. Jahrhunderts, nur in Schwarzweiß. Es sind nicht zuletzt die vergleichsweise schlicht und reduziert daherkommenden Arbeiten, die auf den Punkt bringen, worum es auch geht in dieser anregenden Schau: um das große, nicht immer eingelöste utopische Versprechen, das Pop und Avantgarde im Grunde schon immer verbindet.

Wenn Michael Dreher die Woodstock-Bühne im Modell präsentiert, während Nicole Wermers’ „Kleiner Saal“ trostlose Tanzvergnügen in Erinnerung ruft, mag man darin das Scheitern des Traums von einer anderen Welt gespiegelt finden. Erledigt aber ist er damit nicht, auch wenn er gerne ironisch gebrochen durch die Kunst geistert wie in Amy Holdens geschmolzener und als Ansammlung von Schüsseln neu in Form gebrachter Plattensammlung oder in den Bildern von Uroš Djuri. Und wenn dieser Künstler, der als Schauspieler und Punkmusiker in den unterschiedlichsten Kontexten zu Hause ist, in seiner Malerei Popsongs, Kippenberger und Oehlen-Brüder zusammenführt, mag man das ungeachtet aller Ironie dennoch als Bekenntnis begreifen.

Zwar stimmt es schon, dass Punk und Totentanz vorbei sind, Kippenberger längst gestorben ist und die freche wilde Malerei, mit der die Oehlens einst den Kunstbetrieb herausforderten, sich inzwischen ganz wunderbar verkauft. Doch man muss nicht sentimental sein, um diese Bilder auch als Hommage zu lesen an eine Generation, die vor gar nicht allzulanger Zeit noch einmal kräftig auf die Pauke haute und so manchen im Betrieb das Fürchten lehrte. Tempi passati, die Welt ist eine andere. Doch wie der Weihnachtsmarkt mit seinem echten und falschen Zauber bleibt am Ende auch die Kunst, was sie immer war: ein leuchtendes Versprechen.

Die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, Markt 44, ist bis 1. März dienstags bis sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet.

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