„DEUTSCHE TEXTE


-un film français“

Alexander Györfi

„Deutsche Texte – un film français“ 2004

Mit:

Eva Könnemann

Annabelle Floriant

als

Joseph Beuys

Jochen Distelmeyer


„Deutsche Texte – un film français“ 2004

Mit:

Eva Könnemann

Annabelle Floriant



Mit:

Eva Könnemann

Annabelle Floriant

als

Joseph Beuys

Jochen Distelmeyer




„Deutsche Texte – un film français“
entstand 2004 während eines sechsmonatigen Aufenthalts von Alexander Györfi an der Cité des Arts in Paris. Anhand des Protestsongs „Sonne statt Reagan“ von Joseph Beuys und „Lass uns nicht von Sex reden“ von Blumfeld beschäftigt er sich in dem Film mit unterschiedlichen popkulturellen Identifikationsmustern und der Möglichkeit, wie und mit welcher Haltung heute mit gesellschaftlichen Vorbildern umgegangen werden kann. Ohne sich in gängige filmische Genres einordnen zu lassen, zeichnen sich die Filme von Alexander Györfi durch eine ganz subjektive Strategie der Aneignung musikalischer Vorlagen aus, durch die für den Betrachter ein Freiraum geschaffen wird, sich assoziativ mit persönlichen Erinnerungen, freien Improvisationen und einem vielschichtigen Geflecht an poptheoretischen Zusammenhängen auseinander zu setzen.



Philipp Ziegler: Dein neuer Film „Deutsche Texte – un film français“ handelt von zwei Frauen, denen zwei Lieder zugeordnet sind. Die eine, Eva Könnemann, verkörpert im Film Joseph Beuys mit „Sonne statt Reagan“, die andere, Annabelle Floriant, Jochen Distelmeyer, den Sänger von Blumfeld, mit „Lass uns nicht von Sex reden“. Da die Musik in deinen Filmen immer eine inhaltliche Rolle spielt, würde ich gerne wissen, was dich an den beiden Liedern interessiert hat?

Alexander Györfi: Der Ausgangspunkt des Films sind die Texte der beiden Lieder. Beide Lieder - „Sonne statt Reagan“ von Beuys und das „Lass uns nicht von Sex reden“ von Blumfeld - sind Phänomene der Musikgeschichte, die in ihrer Zeit eine ganz bestimmte historische Funktion und Bedeutung hatten, die ich durch diese Neuinterpretation in meinem Film in die Jetzt-Zeit holen wollte. Der Ausflug von Joseph Beuys in die Popmusik hat einen ganz konkreten historischen Hintergrund: Beuys war Gründungsmitglied der Grünen und hat 1982 „Sonne statt Reagan“ zusammen mit der Gruppe Bap aufgenommen. Das Lied richtet sich gegen die amerikanische Politik, speziell gegen die Stationierung der Pershing 2 und wurde damals als Single veröffentlicht. Für meine Arbeit hat mich das Lied nicht musikalisch interessiert, da ich finde, dass es ein ziemlich schlechter Song ist. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass Beuys außerhalb des Kunstkontextes Popmusik als Medium benützt, um sich politisch zu äußern. 1982 gab es im Fernsehen einen legendären Auftritt in der Sendung „Banana’s“, bei dem Beuys zusammen mit Bap und drei Background-Sängerinnen auf der Bühne stand. Im selben Jahr ist Bap mit Joseph Beuys vor 300.000 Demonstranten beim Anti-Nato-Gipfel aufgetreten. Bap war damals sehr bekannt. Beuys hat die Popularität der Band genützt, um mit den Mechanismen der Musikindustrie eine bestimmte politische Aussage über den Kunstkontext hinaus zu transportieren. 

Ziegler: Der zweite Song stammt von der deutschen Band Blumfeld und ist bei seinem Erscheinen im Jahr 1992 nicht weniger heftig diskutiert worden als „Sonne statt Reagan“ zehn Jahre zuvor.

Györfi: Blumfeld und die sogenannte „Hamburger Schule“ spielten für die Entwicklung deutschsprachiger Musik in den 90er Jahren eine wichtige Rolle. Obwohl es Bands wie „Ton, Steine, Scherben“ gab, waren deutschsprachige Texte vor Blumfeld verpönt. Singen auf deutsch wurde oft mit Schlagermusik, Peter Maffay oder Grönemeyer in Verbindung gebracht. Und plötzlich kam mit Blumfeld eine Band, bei der die Texte wieder interessant waren. Die Art und Weise wie Jochen Distelmeyer über ganz intime, persönliche Dinge gesungen hat, war damals außerordentlich umstritten. Wurde aber gleichzeitig von Vielen bejubelt. Blumfeld hatte und hat mit Sicherheit großen Einfluss auf die Rezeption deutschsprachiger Musik.

Ziegler: Was kennzeichnet für dich im Film die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten und der Musik?

Györfi: Die beiden Frauen sind ein Beispiel dafür, wie junge Menschen erwachsen werden, wie sie sich entwickeln und was für Vorbilder sie haben. Dadurch, dass sie im Film diese besetzten und vielsagenden Vorlagen neu interpretieren, probieren sie aus, wie man sich über Aneignung eine bestimmte Identität schafft. Mein Experiment als Regisseur besteht darin diese Lieder und Ihre Geschichte mit den 2 Protagonisten aus dem Heute zu verknüpfen. Durch die Identifikation mit bestimmten Dingen, in diesem Fall – Musikstile oder Bands – versuchen sich Menschen Orientierung zu geben. Eva behauptet im Film, dass sie das Stück von Beuys gerade komponieren würde, sie hat also einen sehr aktiven Part. Ein wichtiger Aspekt im Film ist, dass es sich um Frauen handelt, die Lieder benützen, die im Original von Männern geschrieben und gesungen wurden. Durch die Art wie Annabelle singt und durch ihren französischen Akzent bekommt „Lass uns nicht von Sex reden“ eine ganz neue Bedeutung, die so bei Blumfeld nicht enthalten ist. Beide Neuinterpretationen ironisieren damit auch das Pathos des Originals und verdeutlichen wie verwurzelt sie doch in Ihrer Zeit sind. Mit dem Blick aus der Gegenwart zurück in die Vergangenheit, versuche ich zu überprüfen, welchen Gehalt und welche Bedeutung Meinungen, Standpunkte und Ideologien heute noch haben. Wie sich Sichtweisen auf Vorbilder und Identifikationsmodelle im Laufe der Zeit verändern können.

Ziegler: Die Aneignung von bestimmten Phänomenen des Musikgeschäfts ist ja ein typischer Bestandteil deiner Arbeiten. Du hast das Genre Musikvideos benützt, du hast mit den Produktions- und Distributionsmöglichkeiten von Musik gearbeitet und nun beschäftigst du dich mit diesen starken Identifikationsmodellen, für die auch die Band-T-Shirts stehen.

Györfi: In der Entwicklung von Menschen geht es immer ein Stückweit um die Aneignung von Gedanken und Ideen bestimmter Vorbilder. Im Leben können diese Vorbilder die Eltern, Freunde, Lehrer, politische Bewegungen, Bücher, oder eben eine Band sein, mit deren Hilfe man sich sein Weltbild konstruiert. Die Band-T-Shirts, die vor allem in den 80er Jahren populär waren und vor 2 Jahren in der Mode ein Revival erlebt haben, symbolisieren auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und derer Ideale. Heute benutzt man dazu vielleicht nicht mehr T-Shirts einer bestimmten Band sondern beispielsweise Gucci-Klamotten. Die Band Tocotronic behandelt diese Sehnsucht nach Identität in Ihrem Lied mit dem treffenden Titel „ Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“.
Jim Morrison von den Doors und Bob Marley, erscheinen in meinem Film in Gestalt eines T-Shirtaufdrucks. Mich fasziniert die Differenz zwischen der eigentlichen Person und dem zurückbleibenden Siebdruck. Die fast schon sakrale Mythisierung von Jim Morrison, zu dessen Grab Annabelle im Film pilgert, gehört da dazu. Vor Kurzem wurde der Film einer Schulklasse gezeigt. Erstaunlicherweise hatten die meisten Schüler den Namen Jim Morrison noch nie gehört.


Ziegler: Der zweite Abschnitt des Films spielt in einer Installation des Komponisten La Monte Young und der Künstlerin Marian Zazeela, dem sogenannten „Dream House“, das die beiden in den 60er Jahren in New York realisiert haben. In deiner Interpretation wurde die Installation ursprünglich als eine Art Utopie entwickelt, um einen Raum zu schaffen, an dem politische und soziale Dinge gedacht werden konnten. An diesem Ort angekommen, scheinen sich die beiden Protagonistinnen in deinem Film ganz auf sich zu besinnen, allerdings träumen sie nicht nur von einer besseren Welt, sondern vor allem von gutem Essen und einer Villa mit 20 Zimmern.

Györfi: In dieser Szene habe ich den beiden nur Stichwörter vorgegeben, das meiste ist ganz spontan entstanden und frei improvisiert. Die Diskrepanz zwischen ernsten Dingen, die sie sich für die Welt wünschen und ganz trivialen und banalen Dingen, die sehr persönlich und albern sind, wird hier in einem Spiel erfahren.